Welche Rolle Säuglingsnahrungen mit hydrolysiertem Protein (sog. HA-Nahrungen) in der Allergieprävention spielen, wird seit längerem kritisch hinterfragt. Aktuell wurde eine S3-Leitlinie publiziert, die sich u. a. mit dieser Thematik beschäftigt. Allerdings werfen Aussagen dieser Leitlinie auch Fragen auf und haben in der Fachwelt für kontroverse Diskussionen gesorgt.
Haben HA-Nahrungen noch eine Indikation in der alimentären Allergieprävention?
Der erfahrene Pädiater Dr. Martin Claßen, ehem. Chefarzt der Kinderkliniken Links der Weser und Bremen Mitte, geht im Interview auf die wichtigsten Kritikpunkte ein und gibt einen pragmatischen Lösungsansatz.
Interview
Herr Dr. Claßen, 2022 wurde eine aktualisierte S3-Leitlinie (S3- LL) „Allergieprävention“ publiziert.1 Einige Aussagen dieser Leitlinie sorgen gerade in den Kliniken und in der Fachwelt für große Unsicherheit. Aktuell haben die Ernährungskommissionen (EKs) der ÖGKJ* und DGKJ** eine in Teilen widersprechende Stellungnahme dazu publiziert – warum?2
MC: Die meisten Empfehlungen in der neuen Version sind völlig unstrittig. Zwei Punkte, die die Ernährung mit Muttermilchersatzprodukten betreffen, wurden allerdings von den EKs der ÖGKJ/ DGKJ kritisch aufgegriffen, weil sie Fragen aufwerfen und Probleme in der praktischen Umsetzung mit sich bringen: das Zufüttern von kuhmilchbasierter Formulanahrung in den ersten Lebenstagen und die Gabe von sog. HA-Nahrungen bei Risikokindern im Allgemeinen.
Warum gerade diese beiden Punkte?
MC:Wenn das Kind in den ersten Lebenstagen zugefüttert werden muss, die Mutter aber eigentlich stillen möchte, möchte man eine Sensibilisierung des Kindes gegen Kuhmilchprotein vermeiden. Wie das am besten gelingt, wird von den SpezialistInnen kontrovers diskutiert: Die S3-LL empfiehlt hier eine extensiv hydrolysierte Therapienahrung oder eine Aminosäureformula (nicht-supplement!) zu geben. Diese Empfehlung beruht auf einer eher schwachen Evidenzlage und auf Studien, die möglicherweise auf Mitteleuropa nicht zu übertragen sind. Insbesondere ist es interessant, dass die Europäische Leitlinie der EAACI*** auf Basis derselben Daten zu einer anderen Empfehlung kommt, die auch die Anwendung von HA-Nahrungen mit einschließt.3 Dies wird auch in der Stellungnahme der ÖGKJ/DGKJ angemerkt und ausführlich begründet.
Zudem gibt es ein gravierendes praktisches Umsetzungsproblem dieser Empfehlung: Kliniken verwenden aufgrund der sehr strengen hygienischen Anforderungen im Neonatalbereich fast ausschließlich flüssige Nahrungen. Die in der S3-LL empfohlenen Produkte müssen aber aus Pulver hergestellt werden – dies mit allen Hygienerisiken. Weitere Kritikpunkte sind die höheren Kosten sowie die rechtliche Eingruppierung dieser Produkte. Sie entsprechen nicht den Anforderungen der EU-Verordnung für Säuglingsnahrung.
Bei der Auswahl einer HA-Nahrung zur Allergieprävention bei nicht gestillten Risikokindern empfiehlt die S3-LL zu prüfen, ob eine in Studien zur Allergieprävention nachweislich wirksame HA-Nahrung verfügbar ist. Eine solche Nahrung gibt es aktuell aber formal gar nicht auf dem Markt, denn die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) verlangt einen durch Studien belegten Wirksamkeitsnachweis und hat ihn bisher für keine Nahrung ausgesprochen. Weitere Studien laufen aktuell, die Ergebnisse müssen abgewartet werden. Wichtiger ist die Feststellung der Sicherheit und Eignung solcher Nahrungen durch die EFSA. Hier haben aktuell drei Hersteller eine entsprechende Nahrung im Angebot.
Das ist in der Tat etwas verwirrend – gerade für Anwender, die nicht tief in der Thematik stecken. Was ist Ihre Empfehlung?
MC: Die Stillförderung steht für uns natürlich an erster Stelle. Es gibt dennoch einen Bedarf für allergenarme Nahrungen für Risikofamilien. Das „HA-Prinzip“ (Hydrolyse von Kuhmilchproteinen) ist seit vielen Jahren etabliert und wird von Eltern auch nachgefragt. Es gibt drei Milchnahrungen auf dem deutschen Markt, die nachweislich sicher sind. Das bedeutet, sie ermöglichen eine normale Entwicklung der Kinder. Ein Nutzen im Sinne der Allergieprävention ist aktuell zwar formal nicht bewiesen, aber aufgrund älterer Studien aus meiner Sicht wahrscheinlich. HA-Nahrungen haben nach gegenwärtigem Wissensstand eine größere Chance als Vollproteinmilchen, Allergien vorzubeugen. In diesem Punkt sehe ich vor allem ein wissenschaftliches Problem, weswegen ich mir bezüglich der allergiepräventiven Wirkung prospektive vergleichende Langzeitstudien dringend wünschen würde.
Was das Zufüttern in den ersten Lebenstagen angeht, sind die Interpretationen der zugrundeliegenden Studien im Begleittext der Leitlinienempfehlungen und der Ernährungskommissionen sehr heterogen – von der Aminosäureformula bis zur HA-Nahrung könnte alles wirksam sein. Aus praktischen, hygienischen und auch aus rechtlichen Aspekten würde ich zu HA-Nahrungen raten. Bei diesen Produkten könnte es ein Vorteil sein, wenn sie zeigen konnten, dass sie nicht zu einer Sensibilisierung gegen Kuhmilchprotein führen.
HiPP HA COMBIOTIK®
- mit hydrolysiertem Protein
- nachweislich minimiertes Sensibilisierungsrisiko4
- EFSA bestätigt Sicherheit und Eignung5
Referenzen
1 Kopp et al. Allergol Select 2022; 6:61-97
2 ÖGKJ, DGKJ, Haiden. Monatsschr Kinderheilkd 2023; 171, 545-550
3 Halken et al. Pediatr Allergy Immunol 2021; 32(5):843-858
4 Freidl et al. Nutrients. 2023; 15(1):111
5 EFSA Journal 2022; 20(3):7141
*ÖGKJ: Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde
**DGKJ: Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
***EAACI: European Academy of Allergy and Clinical Immunology