10.2019
Autorin Frau Lara Mönter, Hebamme aus Köln
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont die Wichtigkeit des spontanen Geburtsbeginns. Dennoch ist die Anzahl an Geburtseinleitungen seit Jahren steigend (IQTIG, 2017). Welches Management von Terminüberschreitungen in der Schwangerschaft lässt sich aus der evidenzbasierten Literatur ableiten? Welche Risiken birgt eine Terminüberschreitung wirklich?
Die physiologische Schwangerschaftsdauer
Per Definition liegt der physiologische Geburtsbeginn zwischen der Schwangerschaftswoche 37+0 und 41+6. Ab der SSW 40+1 spricht man von einer Terminüberschreitung, ab der SSW 42+0 von einer pathologischen Übertragung. Das Einsetzen von geburtswirksamer Wehentätigkeit ist ein komplexes Geschehen und wird durch psychische, hormonelle, nervale, mechanische, biochemische und physikalische Faktoren beeinflusst. Die Reifungsprozesse sind genetisch programmiert und daher individuell (Stiefel at al., 2015). Dies führt zu einer für jede Frau unterschiedlichen Schwangerschaftsdauer. Faktoren wie Alter, Nulliparität, Übergewicht und guter sozioökonomischer Status begünstigen eine längere Schwangerschaftsdauer (Olesen et al. 2006; Hovi et al. 2006).
Empfehlungen und Risiken der Terminüberschreitung
Die S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zum Thema Vorgehen bei Terminüberschreitung und Übertragung empfiehlt, dass Frauen ab der SSW 41+0 die medizinische Geburtseinleitung angeboten und ab der SSW 41+3 empfohlen werden sollte. Da diese Leitlinie jedoch 2010 aufgesetzt und 2014 das letzte Mal überarbeitet wurde, stellt sich die Frage, ob die Empfehlungen noch als aktuell betrachtet werden können. Das meistbefürchtete und -erforschte Risiko bei Terminüberschreitung ist die Totgeburt (Schwarz, 2017). Das Risiko für eine Totgeburt steigt ab der SSW 37+0 stetig an und liegt in der SSW 41+0 bei 1,7 Totgeburten und in der SSW 42+0 bei 1,9 Totgeburten je 1000 Geburten. Als Ursache für diesen Anstieg wird die Abnahme der Versorgungsleistung der Plazenta betrachtet (Hilder et al., 1998).
Risiken der Geburtseinleitung
Das Risiko von Totgeburten ist gegen die Risiken einer medizinischen Geburtseinleitung abzuwägen. So zeigen Studien, dass die Geburtseinleitung der Beginn einer Interventionskaskade sein kann. Die Einleitung kann zu frustranen Geburtsverläufen und protrahierten Latenzphasen führen (Vogel, 2014). Die Anzahl an Interventionen wie Oxytocingabe und PDA-Anlage steigt (Coates et al., 2019) und die postpartale Blutungsrate ist erhöht (Joseph et al., 2007). Zudem empfinden Gebärende eingeleitete Geburten als schmerzhafter (NICE, 2008). Gegen eine frühe Geburtseinleitung sprechen auch folgende Zahlen: So liegt die Wahrscheinlichkeit für das Einsetzen von spontaner Wehentätigkeit zwischen der SSW 41+0 und 41+3 bei 60 %. Bis zur SSW 41+6 liegt diese Wahrscheinlichkeit bei 90 %. Bei Mehrgebärenden ist die Wahrscheinlichkeit sogar noch höher (Gardosi et al., 2013).
Die Studie von Schwarz et al. (2017) kommt zu dem Ergebnis, dass in den Jahren von 2005 bis 2012 trotz steigender Prozentzahlen an Geburtseinleitungen (Anstieg von 16,5 % auf 21,9 %) die Mortalitätsrate unverändert blieb.
Implikationen für die Praxis
Für die Praxis ist eine individuelle Abwägung der Situation essenziell. Die aufgeführten Risiken sowohl der medizinischen Einleitung als auch der abwartenden Haltung zeigen, dass es bei den bestehenden Unterschieden in der Schwangerschaftsdauer keine Patentlösung geben kann. Erschwerend kommt hinzu, dass das genaue Bestimmen des Schwangerschaftsalters weiterhin eine Herausforderung bleibt (Balchin et al., 2004). Im Vergleich zu der Bestimmung des Gestationsalters nach der letzten Periode stellt die Bestimmung des Geburtstermins durch einen frühen Ultraschall die sicherere, aber keinesfalls eine fehlerfreie Methode dar (Whitworth et al., 2015). Eine mögliche Alternative zur Geburtseinleitung sind aktive Überwachungsmodelle wie das Kick-Chart-Modell oder das Growth-Assessment-Programm. Leider sind diese Modelle in Deutschland nicht etabliert, obwohl sie in anderen Ländern bereits zu einem signifikanten Rückgang der Totgeburtenrate geführt haben (Gardosi et al., 2013).