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Risiko fürs Kind: mütterliches Übergewicht

01.2019
Autor
Dr. J. Hower, Pädiater

Mütterliches Übergewicht, das oft zu einer Kaiserschnittgeburt führt, ist ein starker Risikofaktor für Übergewicht bei Kindern. Über eine mögliche Verbindung zwischen Geburtsmodus und Säuglings-Mikrobiota und zwischen mütterlichem Übergewicht vor der Schwangerschaft und kindlichem Übergewicht ist nur wenig bekannt. Dieser Frage sind die Studienautoren jetzt nachgegangen.

Studiendesign: Mit 935 Reifgeborenen (Geburtskohorte der Canadian Healthy Infant Longitudinal Development – CHILD – Studie) wurde eine observationale Studie durchgeführt. Der Body-Mass-Index (BMI) vor der Schwangerschaft wurde aus der Krankenakte festgehalten. Die Säuglingsdarm-Mikrobiota wurde mit 16S ribosomaler RNA-Sequenzierung in Stuhlproben ermittelt, die im mittleren von 3,7 (± 1,0 SD) Monaten entnommen wurden. Im Alter von 1 und 3 Jahren wurden die an Alter und Geschlecht angepassten BMI-z-Werte nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation bestimmt.
Als Ergebnisziele wurden das kindliche Risiko für Übergewicht und Adipositas (> 97. Perzentil-BMI-z-Werte) im Alter von 1 und 3 Jahren für normalgewichtige (BMI 18.5–24.9) und übergewichtige Mütter (BMI ≥ 25.0) ermittelt.

Ergebnisse:
Von den 935 in die Studie aufgenommenen Mutter-Kind-Paaren (mittleres mütterliches Alter 32,5 [± 4,5 SD] Jahre) trat Übergewicht bei 382/935 (40,9 %) Müttern, 69/926 (7,5 %) Säuglingen mit 1 Jahr und 90/866 (10,4 %) Säuglingen mit 3 Jahren auf. Im Vergleich zur vaginalen Geburt einer normalgewichtigen Mutter waren Säuglinge, die vaginal von übergewichtigen oder adipösen Müttern geboren worden waren, im Alter von 1 Jahr dreimal häufiger übergewichtig (angepasste Odds Ratio [OR] 3,33; 95 % Konfidenzintervall [KI] 1,49–7,41). Durch Kaiserschnitt entbundene Säuglinge von übergewichtigen Müttern im Alter von 1 Jahr wiesen ein fünffach erhöhtes Übergewichtsrisiko auf (angepasste OR 5,02; 95 % KI 2,04–12,38), was auch dem Übergewichtsrisiko im Alter von 3 Jahren entsprach. Die Modellierung mehrerer Mediatoren zeigte, dass der Geburtsmodus und die kindliche Darmmikrobiota (Firmicutes-Artenreichtum, insbesondere der Familie der Lachnospiraceae) den Zusammenhang zwischen mütterlichem Übergewicht vor der Schwangerschaft und dem kindlichen Übergewicht im Alter von 1 bis 3 Jahren vermittelte. Bakteriengattungen der Familie der Lachnospiraceae waren bei Säuglingen übergewichtiger Mütter häufiger anzutreffen.

Fazit: Diese Studie lässt erstmals einen Zusammenhang zwischen Geburtsmodus und der Besiedlung mit Firmicutes-Arten, insbesondere mit Lachnospiraceae, bei der generationsübergreifenden Übertragung von Übergewicht und Adipositas erkennen.

Referenz:
Tun, H.M. et al. Roles of Birth Mode and Infant Gut Microbiota in Intergenerational Transmission of Overweight and Obesity from Mother to Offspring. Jama Pediatr 2018 Apr 1; 172(4): 368-377

Kommentar: Die Prävalenz der Adipositas hat in den westlichen Ländern explosionsartig zugenommen. Die Zahl der übergewichtigen Erwachsenen hat sich in den USA verdoppelt und die der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen verdreifacht. Vergleichbare Zahlen liegen aus Europa und Australien vor. Aus übergewichtigen Kindern werden übergewichtige Erwachsene. Adipositas im Kindesalter erhöht das spätere Blutdruck-, Schlaganfall-, Krebs- und Typ-2-Diabetes-Risiko und verkürzt die Lebenserwartung. Die epidemisch auftretende Adipositas hat zu erheblichen Anstrengungen geführt, Lösungen für ein komplexes gesellschaftliches Problem zu finden.

Zu den vielen Faktoren, die das kindliche Übergewichts- und Adipositas-Risiko beeinflussen, scheinen generationsübergreifende obesogene, hereditäre, mikrobielle mütterliche Faktoren und der Geburtsmodus zu gehören, wie die aktuelle Studie von Tun et al. zeigt. Lachnospiraceae-Bakterien (Stamm der Firmicutes) waren bei den Kindern von übergewichtigen und adipösen Müttern im Alter von 4 Monaten im kindlichen Stuhl erhöht. Mehrere andere Studien wie die Singapore Study (GUSTI) und die Boston Birth Cohort Study haben diesen Zusammenhang bereits vermuten lassen. Letztere hat für eine ethnisch verschiedene Kohorte zeigen können, dass die Schnittentbindung, Übergewicht und Adipositas vor der Schwangerschaft mit kindlichem Übergewicht und Adipositas verbunden sind.
Die Studie von Tun et al. stützt die Vermutung, dass nicht nur der mütterliche BMI (Body-Mass-Index) und der Kaiserschnitt, sondern auch die mütterliche Mikrobiota als eine von vielen Faktoren einen modulierenden Einfluss auf die Entwicklung der kindlichen Adipositas besitzt.

Referenzen:
1. James, P.T., Obesity: the worldwide epidemic. Clin Dermatol, 2004. 22(4): p. 276-80
2. Azais-Braesco, V., et al., A review of total & added sugar intakes and dietary sources in Europe. Nutr J, 2017. 16(1): p. 6
3. Louie, J.C.Y. and A.M. Rangan, Patterns of added sugars intake by eating occasion among a nationally representative sample of Australians. Eur J Nutr, 2018. 57(1): p. 137-154
4. Geserick, M., et al., Acceleration of BMI in Early Childhood and Risk of Sustained Obesity. N Engl J Med, 2018. 379(14): p. 1303-1312
5. Tun, H.M. et al. Roles of Birth Mode and Infant Gut Microbiota in Intergenerational Transmission of Overweight and Obesity from Mother to Offspring. JAMA Pediatr 2018 Apr 1; 172(4): 368-377