11.2023
Autorin Alexandra Lesmann, Hebamme und Ökotrophologin aus Hamburg
Die vaginale Untersuchung zur Bestimmung des Geburtsfortschrittes ist noch immer der Standard. Als Diagnosemethode, die von vielen Frauen als unangenehm empfunden oder gar als unerwünscht abgelehnt wird, ist sie jedoch mit gerechtfertigter Kritik behaftet. Das Messen der Purple Line und deren Entwicklungsbeobachtung im Laufe der Geburt könnte eine gute Ergänzung bekannter Methoden sein. Eine kleine, aber sehr lesenswerte Studie aus dem Jahr 2010 untersuchte dieses Phänomen. Aufgrund bestehender Schwächen der vaginalen Untersuchung lohnt es sich, die Studie auch nach vielen Jahren wieder zu erwähnen und das Thema noch einmal in den Fokus zu rücken.
In der Literatur wird das Durchschimmern der Vena iliaca interna, der inneren Darmbeinvene, durch die gespannte Haut der Analfurche als Purple Line bezeichnet. Zugrunde liegt diesem Phänomen vermutlich die Stauung dieser Vene durch den im Geburtsverlauf entstehenden Druck des kindlichen Kopfes auf das Kreuzbein der Gebärenden. Durch fortschreitende Spannung der Analfurche im Geburtsverlauf entwickelt sich nach dieser Theorie dort eine zunehmend länger werdende, je nach Hauttyp in unterschiedlicher Ausprägung violette Linie vom Analsaum bis zum Iliosakralgelenk. Vermutet wird ein Zusammenhang zwischen der Länge der Linie und dem Geburtsfortschritt.
Die Studie von Shepherd et al. untersuchte insgesamt 144 Gebärende, davon 112 Frauen bei spontaner Geburt und 32 Frauen nach einer Geburtseinleitung.
Sichtbar und mit Einwegmaßband bestimmbar wurde die Purple Line bei 109 Frauen (76 %). Bei Frauen unter Spontangeburt zeigte sie sich in 90,8 % der Fälle. Bei eingeleiteten Geburten zeigte sie sich lediglich in 19,59 % der Fälle. Beobachtet wurde zudem eine mittlere, positive Korrelation zwischen der Länge der Purple Line auf der einen und der Muttermundöffnung und dem Stand des kindlichen Köpfchens auf der anderen Seite.
Wie häufig in der Geburtsbetreuung kommt es auf den Erfahrungsschatz der Hebamme oder der behandelnden Ärztin an. Die Genauigkeit der vaginalen Untersuchung an festen Cervixmodellen lag Studien zufolge bei lediglich 48,6 % bis 56,3 % und erreichte erst eine Genauigkeit von knapp 90 % bei einer Fehlertoleranz von +/- 1 cm. Bei Versuchen an einem realistischeren Cervixmodell aus Weichplastik lag die Genauigkeit allerdings nur noch bei 19 %. Noch größer seien Ungenauigkeiten, wenn mehrere Untersuchende, wie es im Schichtdienst häufig vorkommt, vaginale Untersuchungen vornehmen würden.
Neben der häufig unpräzisen vaginalen Untersuchung könnte die Purple Line als Baustein in der Gesamtheit einer verlässlichen Diagnostik ein guter Anhaltspunkt sein. Gerade die Einfachheit der Längenbestimmung mit einem Maßband würde Erkenntnisse objektivieren. Gebärende würden seltener in ihrer Konzentration auf die Geburt gestört und müssten weniger Eingriffe in die Intimsphäre dulden. Ferner stellt eine Diagnose häufig die Weichen für medikamentöse oder mechanische Intervention mit großer Tragweite.
Der Studie gelingt es allerdings, insbesondere durch die relativ kleine Gruppengröße, noch nicht, ausreichend valide Zusammenhänge aufzuzeigen, aus denen sich konkrete Handlungsanweisungen ableiten ließen. Neben der Erkenntnis, dass eine Purple Line relativ häufig nachgewiesen werden konnte und ein Zusammenhang zwischen Länge der Linie und Geburtsfortschritt zu bestehen scheint, verbleiben interessante offene Fragen. Ohne Erklärung blieb, weshalb sich die Linie bei 24 % der Frauen überhaupt nicht zeigte. Zu klären bleibt auch, weshalb der Anteil an messbaren Purple Lines bei spontan Gebärenden deutlich größer war als der nach einer Einleitung.
Die Autorinnen weisen neben diesen möglichen Themen für künftige Untersuchungen auch auf Schwierigkeiten bei der Datenerhebung hin. Schwächen der Studie wurden auch in der Zusammensetzung aus zu 97 % europäisch-stämmigen Studienteilnehmerinnen gesehen. Zusätzlich zu der geringen Teilnehmerzahl konnten so keine allgemeingültigen Erkenntnisse gewonnen werden.