Die Vorliebe für Süßes entwickelt sich bereits intrauterin und in der frühen Säuglingszeit

02.2025
Autor Dr. Martin Claßen, Bremen
Unter Ernährungswissenschaftlern ist Konsens, dass die Zufuhr von Mono- und Disacchariden in westlichen Industrieländern erheblich zu hoch ist. Im klinischen Alltag hat man bei vielen Menschen den Eindruck, es liege eine Sucht nach Süßem vor. Mit der zu hohen Zufuhr steigen Risiken für Diabetes mellitus und arterielle Hypertension. Die absolute Zuckeraufnahme im Lauf des Lebens scheint im Hinblick auf lebenslange Risiken für beide Erkrankungen eine Rolle zu spielen. Wie früh Weichen gestellt werden und unsere Vorliebe für süße Speisen geprägt wird, haben Forscher aus Großbritannien anhand eines historischen „Experimentes“ in der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg analysiert. Aufgrund der Rationierung von Zucker und Süßigkeiten nach dem Krieg erhielten Schwangere bis 1953 mit < 40 g/d Zucker und Kinder mit < 15 g/d eine so geringe Menge dieser Stoffe, dass sie den aktuellen Empfehlungen entsprachen. Nach Ende der Rationierung stieg der Konsum auf ungefähr das Doppelte der Werte an.
Anhand von Daten der UK Biobank wurden 60 183 Individuen, die zwischen Oktober 1951 und März 1956 geboren worden waren, ausgewählt und im Alter von 51–66 Jahren nachuntersucht. 38 155 hatten eine Rationierung erlebt. 22 028 Probanden, geboren zwischen Juli 1954 und März 1956, fielen nicht mehr unter die Rationierung.
Bei der Untersuchung hatten 3 936 Studienteilnehmer einen Diabetes mellitus, 19 644 eine Hypertension. Eine Zuckerrationierung in den ersten 1 000 Tagen ab Konzeption führte zu einer Reduktion des Diabetes-Risikos um 35 % und des Hypertonie-Risikos um 20 %. Der Effekt der In-utero-Rationierung trug etwa ein Drittel zu diesen Zahlen bei. Das Auftreten dieser beiden Erkrankungen war in der Rationierungsgruppe um 4 bzw. 2 Jahre verzögert.
Referenzen:
Gracner, T; Boone, C; Gertler, PJ. Exposure to sugar rationing in the first 1000 days of life protected against chronic disease. Science 31 Oct 2024. 10.1126/science.adn5421.