12.2020
Autorin Christina Altmann, Hebamme aus Bremen
Die ersten Wochen der Hebammenausbildung scheinen sich national wenig zu unterscheiden: Jede Hebammenschülerin zückt alsbald ihren Stift und lernt, Entbindungstermine nach der Naegel‘schen Regel zu berechnen. Einmal den Termin gefunden, scheint er in Stein gemeißelt. Doch gerade am Ende von Schwangerschaften kann die Genauigkeit des Schwangerschaftsalters eine bedeutende Rolle spielen. Der ET: ein errechneter oder ein erratener Termin? Ein Überblick über die aktuelle Erkenntnislage.
Letzte Regelblutung, Eisprung oder Konzeption– was ist entscheidend?
Der erste Tag der letzten Regelblutung dient zur Bestimmung des Schwangerschaftsalters nur als Anhaltspunkt. Viele Frauen sind mit ihrem Zyklusverlauf nicht gut vertraut, so dass eine Näherung, wann eine Schwangerschaft ungefähr eingetreten sein könnte, stattfinden muss. Adäquat kann ein Entbindungstermin anhand der letzten Regel jedoch nicht bestimmt werden, da die Variationsbreite der Follikelreifungsphase hoch ist. Der zweite Tag im Zyklus, den Frauen kennen könnten, ist der des Eisprungs: Dieser bietet eine – in Verbindung mit einem möglichen Konzeptionstermin – eine höhere Genauigkeit zur Terminbestimmung (vgl. Mack; Loytved, 2019).
Die Variation des weiblichen Zyklus
Jede Berechnungsformel zur ET-Bestimmung beruht auf der Annahme eines „regelmäßigen“ Zyklus von 28 Tagen und einer Ovulation am 14. Zyklustag. Die erweiterte Naegel‘sche Regel bietet die Möglichkeit, eine längere oder kürzere Zyklusdauer zu berücksichtigen. Doch auch hier wird ein Eisprung am 14. Zyklustag angenommen. Fehring et al. zeigten jedoch bereits im Jahre 2006, dass die Follikelreifungsphase selbst bei einer einzelnen Frau unterschiedlich lang ist. So fand in 5 % der Zyklen der Follikelsprung bereits vor dem 12. Zyklustag statt, in jedem 2. Zyklus nach dem 14. Tag und in weiteren 5 % erst nach dem 19. Zyklustag (vgl. Fehring et al., 2006).
Zudem verkürzt sich die Follikelphase mit zunehmendem Alter: Bei 20- bis 24-jährigen Frauen liegt das Ovulationsdatum im Mittel bei 17,7 Tagen, bei Frauen ab 40 Jahren bei 14,3 Tagen (vgl. Raith-Paula et al., 2008).
Die Einführung des Ultraschalls in der Geburtshilfe
Aufgrund der Schwierigkeiten einer rein mathematischen Herangehensweise liegt die Annahme nahe, der Ultraschall könne einen genauen Entbindungstermin ermitteln. Seit Einführung des Ultraschalls in den 1970er-Jahren wurden Normkurven und Tabellen erstellt, um kindliche Maße wie die Scheitel-Steiß-Länge (SSL) in Relation zum Schwangerschaftsalter zu setzen. Jene Normwerte wurden jedoch auf Basis gesunder Schwangerer mit „regelmäßigen“ Zyklen verfasst, so dass auch die sonographische Ermittlung des Entbindungstermins kaum für jede Schwangere gültig sein dürfte.