Der Trend in der Säuglingsernährung zum Verzicht auf Laktose

02.2025
Autor Dr. Martin Claßen, Bremen

 

Ernährungsgewohnheiten änderten sich im Laufe der letzten Jahrzehnte. Manche dieser Ernährungstrends haben auch für das Säuglingsalter eine Bedeutung. Der Nahrungsbestandteil, der zunehmend in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert wird, ist die Laktose. Ob die Fütterung von Säuglingsmilchen, die ein anderes Kohlenhydrat als Laktose enthalten, in den letzten Jahren zugenommen hat, wurde anhand von Querschnittdaten der NHANES-Datenbank in den Jahren 1999–2020 in den USA analysiert. Hier waren an 3709 einzelnen Kindern unter 12 Monaten 36 084 Fütterungen erfasst, von denen 13 045 Muttermilch umfassten. Es waren 884 (23,83 %) rein Frauenmilch-ernährt, 462 (12,46 %) erhielten kombiniert Frauenmilch plus Formula, 2 363 (63,71 %) wurden nur mit Formula ernährt. Das mittlere Alter betrug 5,77 Monate (SD: 3,11), Median 6 Monate. Im Vergleich der Jahre 1999–2004 (1 512 von 5 082 Mahlzeiten – 29,8 %) zu 2017–2020 (2 319 von 2 966 Mahlzeiten – 78,2 %) ergab sich eine massive Steigerung der Zufuhr von Milchen, die neben Laktose andere Kohlenhydrate enthielten. Im neuesten Zeitintervall enthielten diese Milchnahrungen in 19,7 % Maissirup-Feststoffe, in 14 % Maltodextrin, in 0,8 % Saccharose, und 43,8 % enthielten multiple Zucker.

Kommentar: Laktose ist das Hauptkohlenhydrat in Frauenmilch und damit der Goldstandard auch für Säuglingsmilchnahrungen. Laktose wird nur von einem verschwindend kleinen Anteil von Säuglingen nicht vertragen – im Gegensatz zum Erwachsenenalter, wo der größte Teil der Weltbevölkerung einen genetischen, sogenannten adulten Laktasemangel hat. Andere Kohlenhydrate als Laktose in Säuglingsmilchen könnten nach Studiendaten ungünstige Einflüsse auf die Gewichtszunahme von Kindern haben und das Adipositasrisiko steigern. Insofern ist es wichtig, in der Beratung von Eltern auf die positiven Effekte von Laktose (u. a. auf die Besiedlung des Darms mit Bifidobakterien und die Produktion von Butyrat durch die Darmbakterien hinzuweisen). Es gibt außer in wenigen Ausnahmen keinen medizinischen Grund, bei Säuglingen Laktose durch andere Zucker oder Stärke zu ersetzen. Die eingesetzten Alternativen sind durchweg preiswerter als Lactose, insofern sind Rezepturänderungen im Sinne der Industrie.
Für mich gilt die Pre-Nahrung, die nur Laktose enthalten darf, weiterhin für das gesamte erste Lebensjahr als erste Wahl, wenn nicht gestillt wird; andere Kohlenhydrate sollten immer erst in zweiter Linie stehen.
Wir sollten aufklären darüber, dass die genetische (adulte) Laktoseintoleranz sich nicht im ersten Lebensjahr manifestiert, und auch darüber, dass die meisten Pflanzendrinks aufgrund ihres Calciumgehalts, der niedrigen Bioverfügbarkeit von Calcium und des niedrigen Gehalts an essenziellen Aminosäuren keine vollwertige Alternative zur Säuglingsmilchnahrung aus Kuhmilch darstellt. Und: Die langfristigen Effekte von anderen Kohlenhydraten in Säuglingsmilchnahrungen müssen noch besser erforscht werden.

Referenzen:
DiMaggio DM, Abersone I, Porto AF. Infant consumption of 100% lactose-based and reduced lactose infant formula in the United States: Review of NHANES data from 1999 to 2020. J Pediatr Gastroenterol Nutr. 2024 Nov;79(5):1017-1023. doi: 10.1002/jpn3.12292.