01.2022
Autor Dr. Jürgen Hower, Pädiater aus Mühlheim a.d. Ruhr
Kinder werden zunehmend mit pflanzlicher „Milch“ (PBM – plant-based milk) als Alternative zur Kuhmilch (KM) gefüttert. Der Wechsel von KM auf PBM kann zu kurzfristigen und langfristigen Folgen für die aktuelle und spätere Gesundheit führen.
Empfehlungen und Studienlage
Die vorhandenen Daten zeigen, dass KM mit ihren komplexen Inhaltsstoffen in der frühen Kindheit und im Jugendalter neben anderen einen wesentlichen Beitrag zum linearen Wachstum, zum Vitamin-D-Status und zur Knochengesundheit leistet, der mit den vorhandenen PBM nicht ausreichend abgedeckt werden kann. Die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung von Säuglingen, die mit ernährungsphysiologisch ungeeigneter, nicht angepasster Milch gefüttert werden, ist hoch und viel größer als bei Kleinkindern, da bei Säuglingen ein höherer Prozentsatz des Nährstoffbedarfs über die Muttermilch oder adaptierte KM gedeckt werden muss. In Europa und den USA werden Säuglingsnahrungen hinsichtlich ihrer Zusammensetzung gesetzlich geregelt. Bei Säuglingen sollte die Milchquelle deshalb Brustmilch oder eine mit Eisen angereicherte, zugelassene, auf KM basierende Säuglingsnahrung sein. In Ausnahmefällen können bei Kuhmilchallergien auch dafür vorgesehene andere Milchen verwendet werden.
Für Kleinkinder empfiehlt das USDA (US Department of Agriculture) den Verzehr von 2 bis 3 Portionen Milchprodukten pro Tag für eine ausgewogene, vollwertige Ernährung. Diese Menge deckt etwa 25 bis 30 % des Gesamtenergiebedarfs für 1- bis 3-jährige Kinder. Alternativ eignen sich auch Kindermilchen, die der Eisen- und Vitamin D-Versorgung zugutekommt (ESPGHAN). In den USA haben die Feeding Infants and Toddlers Study (FITS) und die National Health and Nutrition Examination Study (NHANES) die Schlüsselrolle dokumentiert, die der KM in der Ernährung von Kleinkindern sowohl für Makro- als auch für Mikronährstoffe zukommt.
Der Beitrag der Kuhmilch zur Proteinaufnahme von Kleinkindern spielt eine besondere Rolle. PBM weisen einen geringeren Proteingehalt und eine geringere Proteinqualität auf. Sojamilch, die der Kuhmilch am ehesten vergleichbar ist, wird wegen des erhöhten Allergierisikos im ersten Lebensjahr nicht mehr empfohlen. KM-Protein-intolerante Säuglinge und Kinder können unter er Gabe von Sojamilch eine Enterokolitis entwickeln, was übrigens auch für andere PBMs berichtet wird.
Wegen dieser Bedenken empfiehlt die Europäische Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung (ESPGHAN) bei Kuhmilchunverträglichkeit eine therapeutische Hydrolysatnahrung im ersten Lebensjahr oder darüber hinaus für Kinder, bei denen eine KM-Allergie vermutet wird.
Ernährungsmängel und ihre Folgen durch pflanzliche Milchen
Eine für Säuglinge und Kleinkinder ungeeignete Ernährung mit PBM führt zu negativen Auswirkungen auf Wachstum und Entwicklung. In dem Bericht wurde Sojamilch speziell mit Rachitis, Reismilch mit Kwashiorkor und Mandelmilch mit Rachitis und Skorbut assoziiert. In den meisten klinischen Fällen konnten PBMs bei Säuglingen und Kleinkindern nicht den Bedarf an Nährstoffen, insbesondere nicht an Eiweiß, decken.
Ernährungsmängel können auch bei älteren Kindern und Jugendlichen auftreten, wenn PBMs über die üblichen Empfehlungen für die KM-Aufnahme hinaus konsumiert werden, während gleichzeitig die Aufnahme anderer Protein und Nährstoffquellen in der Ernährung durch zahlreiche weitere Einschränkungen limitiert ist. Martini et al. berichten zum Beispiel über einen Vitamin-A-Mangel durch selektives Essen in einem wohlhabenden Umfeld, das zur Erblindung führte, Ellis und Lieb über eine Hyperoxalurie durch Mandelmilchverzehr. Der Verzicht auf ein breites Spektrum an Nahrungsmitteln erhöht in allen Altersgruppen, vor allem aber bei Kindern mit Protein-Allergien, das gesundheitliche Risiko.