01.2017
Autorin Carolin Jagoda, Hebamme
Bindung im ersten Lebensjahr
Neun Monate lang trägt eine Mutter Ihr Kind unter dem Herzen – und ein Leben lang im Herzen.
Dazwischen gibt es vielerlei Möglichkeiten, dem Kind Halt und Urvertrauen zu schenken. Wie auch immer diese aussehen, sie haben alle ein Ziel: Die Bindung zum Kind und dessen Urvertrauen in seine Eltern und Umwelt zu bestärken.
Aus einer Vielzahl an repräsentativen Studien geht hervor, dass die Bindung im ersten Lebensjahr besonders essentiell für die Ausbildung des Urvertrauens ist. Kinder mit einer sicheren Bindung werden zu starken Persönlichkeiten.
Leider hält sich in einigen Familien immer noch die hartnäckige Befürchtung, man könne ein Kind durch zu viel Aufmerksamkeit verwöhnen. Diese Annahme ist schlicht und ergreifend Nonsens. Wenn ein Baby weint, so besteht dafür immer ein Grund. Wird auf diesen „Bedürfnisschrei“ nicht reagiert, hört das Kind keinesfalls aus logischen Beweggründen mit dem Weinen auf, vielmehr weil es lernt, dass auf seine Bedürfnisse nicht eingegangen wird, und deshalb resigniert. Das Kind entwickelt Stress, der sich später auf viele Lebensbereiche auswirken kann. Ein gestresstes und verängstigtes Kind wird Schwierigkeiten haben, in eine erfolgreiche Interaktion mit seiner Umwelt zu treten.
Wie aber kann eine sichere Bindung zwischen Eltern und Kind gelingen?
Bindung von Anfang an
Bereits im Pränatalalter entstehen erste Bindungen. Das Ungeborene hört die Stimme der Eltern und nimmt den Herzschlag der Mutter im Bauch wahr. Wird das Baby geboren, erkennt es diese akustischen Merkmale wieder und beruhigt sich auf der Brust der Mutter oft besonders schnell. Hier kann es den Herzschlag dumpf durch die Brust wahrnehmen, die Mutter hören, riechen und spüren. Durch frühes Bonding wird dieses Gefühl zusätzlich bestärkt. Sollte aufgrund der Geburtssituation ein Bonding durch die Mutter nicht möglich sein, so sollte dies unbedingt der Vater übernehmen. Als besonders essentiell gilt der direkte Hautkontakt, der dem Kind nicht nur das Wahrnehmen der elterlichen Gerüche ermöglicht, sondern ihm auch optimale Körperwärme vermittelt.
Säuglinge und Traglinge
Frisch gebackene Eltern sind oft erstaunt darüber, dass ein Neugeborenes so gar nicht abgelegt werden und alleine in seinem Bettchen schlafen möchte. Zurückzuführen ist dies auf das noch unausgereifte Urvertrauen in seine Umgebung, das einzig und allein durch die unmittelbaren Bezugspersonen, in der Regel die Eltern, befriedigt werden kann. Anthroposophen sprechen seit langem über die essentielle Wirkung von „Hülle geben“ und Tragen. Dieses Einhüllen ist im heutigen Sprachgebrauch unter dem Begriff „Pucken“ bekannt. Laut einer aktuellen Multicenter-Studie aus Kanada sollte dabei zwingend drauf geachtet werden, dass ein Baby nur an Armen und Oberkörper, nicht aber an den Hüften eng gepuckt wird, damit es im Sinne einer gesunden Hüftentwicklung genügend Platz hat, seine Beinchen zu spreizen und zu strecken. Ein Kind sollte außerdem nicht über längere Zeiträume gepuckt werden ( https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26728512 ).
Was in vielen Kulturen Usus ist, bewährt sich hierzulange immer mehr als gesunder Trend – das Tragen des Babys am Körper der Mutter. Bei vielen mehr aus der Not geboren (weil sich der Sprössling wie erwähnt so gar nicht ablegen lässt), als aus Überzeugung entstanden, wird die Tragehilfe schnell zum gefragten Accessoire im Alltag. Das breite Angebot an Modellen kann einen jedoch mitunter zur Verzweiflung bringen. Ob man auf ein Tragetuch oder eine Tragehilfe zurückgreift, entscheidet die eigene Überzeugung und das Handling. Essentiell ist jedoch auch hier die richtige Körperhaltung des Kindes, was bei der Beratung unbedingt zu berücksichtigen ist: Das Baby sollte beim Tragen eine Hockstellung einnehmen und die Tragehilfe sollte seinem Rücken festen Halt bieten.
Nicht zuletzt spielt das Thema Schlaf eine große Rolle in der Beratung von jungen Eltern. Oft sitzen uns in der Wochenbettbetreuung erschöpfte Eltern gegenüber und flehen geradezu um eine erlösende Antwort, wann denn das Kind nun endlich seinen Rhythmus hat und schläft.
Aber was ist eigentlich mit „Rhythmus“ gemeint und wer hat das Recht, ihn dem Kind vorzuschreiben? Entsteht er nicht vielmehr durch unseren inneren Antrieb und ist damit etwas Urindividuelles? Hier ist in der Beratung viel Verständnis und ein vorsichtiges Heranführen an das Thema gefragt. Und auch hier spielt das Thema Bindung und Urvertrauen die entscheidende Rolle. Ein Neugeborenes, das sich geborgen und behütet fühlt, wird sich leichter (in den Schlaf) fallen lassen als ein gestresstes und nicht „geerdetes“ Kind. Keinesfalls darf sich das Kind in den Schlaf schreien! Auch moderne Ratgeber, die einem vorgaukeln, dass jedes Kind schlafen lernen kann, sollten aus fachlicher Perspektive kritisch hinterfragt werden.
Seit dem vergangenen Sommer gibt es vom bayerischen Staatsministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Integration eine Broschüre mit dem Titel „Stark durch Bindung. Tipps zur elterlichen Feinfühligkeit in den ersten Lebensjahren“, welche kostenfrei unter der Adresse oeffentlichkeitsarbeit@stmas.bayern.de angefordert werden und in der Beratung durch Fachpersonal an unsere betreuten Familien ausgegeben werden kann.
Bindung ist alles und stellt die Weichen für unser Leben und Erleben. Natürlich ist es unendlich mehr als Bonding, Schlafen und Tragen. Vielmehr trägt uns eine gesunde Bindung als unsichtbare Kraft durch unser ganzes Leben. Allein deshalb sollte für dieses feinfühlige Thema Raum sein in unserer täglichen Beratungstätigkeit als Hebamme.