11.2023
Autorin Violetta Brauksiepe, B.Sc. Hebammenwissenschaften, Hebamme aus Essen
In Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, sind mehr als 12 Millionen Menschen von Armut betroffen. Zahlreiche empirische Studien haben in den letzten Jahrzehnten belegt, dass Armut den Gesundheitsstatus und ein gesundheitsriskantes Verhalten beeinflusst und konsequent zur Benachteiligung der Betroffenen führt. Besonders deutlich zeichnen sich die gesundheitlichen Auswirkungen in Bevölkerungsgruppen ab, deren Lebensverhältnisse von stetigen Belastungen gekennzeichnet sind, wie etwa einkommensarme, langzeitarbeitslose, geringqualifizierte oder auch alleinerziehende Mütter. In diesen Gruppen sind zudem gesundheitsriskante Verhaltensgewohnheiten stark verbreitet (Mensink, 2003).
Hohes Risiko für belastet Frauen
Armut oder der sozioökonomische Status haben auch Einfluss auf die Schwangerschaft. Betroffene Frauen weisen einen schlechteren Ernährungszustand, erhöhte Stress- und Depressionswerte, erhöhte Krankheitshäufigkeit, Abusus, Alkoholkonsum und erhöhte Frühgeburtsbestrebungen auf (Rahden, Ayerle, Paulus & Lohmann, 2014; Goeckenjah, Ramsauer, Händel, Unkels & Vetter, 2009). Die gesundheitliche Beratung und Betreuung während der Schwangerschaft hat einen wichtigen präventiven Charakter. Eine Inanspruchnahme der Schwangerenvorsorge und schwangerschaftsbegleitenden Angebote scheint im Hinblick darauf, dass die gesundheitliche Prägung eines Kindes nicht erst nach der Geburt beginnt, von enormer Bedeutung. Prä- und perinatale Einflüsse wirken auf die gesundheitliche Prägung des Kindes und können Grundlage für chronische Krankheiten wie Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs sein (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2009; Schleußner, 2011). Sozial benachteiligte Schwangere leiden häufiger an Schwangerschaftskomplikationen. Ein schlechtes Gesundheitsverhalten, welches vor der Schwangerschaft besteht, setzt sich in der Schwangerschaft meist fort und wird von den Schwangeren unterschätzt. (Stollberg & Becker, 2015). Dies zeigt sich z. B. in einer extrem hohen Raucherquote. Kinder aus sozial schwachen Familien haben häufiger ein niedrigeres Geburtsgewicht und ein schlechteres Outcome. Hierbei könnte es sich um Auswirkungen einer wenig in Anspruch genommenen Vorsorge handeln. Nicht erkannte und therapierte Schwangerschaftskomplikationen können im Zusammenhang mit dem fetalen Outcome stehen (Simoes et al., 2003).
Die Inanspruchnahme der Schwangerenvorsorge hat in den letzten Jahrzehnten zu einer Verminderung von maternaler und fetaler Morbidität und Mortalität geführt. Die erforderliche Anzahl von Schwangerenvorsorgen ist umstritten und die optimale Anzahl von Vorsorgeuntersuchungen ist nicht definiert (Günter et al., 2007). Es zeigt sich aber, dass bei spätem Beginn der Vorsorge oder sehr geringer Inanspruchnahme maternale und feto-neonatale Pathologien häufiger auftreten (Vintzileos, Ananth, Smulian, Scorza & Knuppel, 2002). Finanziell belastete Frauen nehmen die Schwangerenvorsorge oftmals erst später, unregelmäßiger und mit einer geringen Anzahl an Besuchen wahr und wissen über die Existenz von Angeboten und deren präventive Eigenschaften wenig Bescheid. Prekär ist dies besonders im Hinblick darauf, dass in der Phase der Schwangerschaft die Bereitschaft für Verhaltensänderung besonders groß ist und bereits geringe Aufklärungsarbeit eine Veränderung zeigt (Schäfer, 2011).
Armut erweist sich als Barriere, Schwangerenvorsorge und schwangerschaftsbegleitende Angebote in Anspruch zu nehmen.
Weitreichende Folgen frühzeitig erkennen und intervenieren!
Die Tatsache, dass von 10 % sozial benachteiligen Schwangeren ausgegangen wird und der finanzielle Status einen Einfluss auf die Schwangerschaft und die Inanspruchnahme von Leistungen hat, zeigt, dass diese Thematik keine Randproblematik darstellt. Studienergebnisse von Goeckenjahn et al. haben gezeigt, dass eine „besondere soziale Belastung“ im Mutterpass faktisch nur selten dokumentiert wird. Die Ursache dafür liegt in der allgemeinen Unterbewertung des Einflusses der sozialen Situation auf die Schwangerschaft (Gockenjahn et al., 2009). Der Fokus bei der Betreuung von Schwangeren muss daher auch auf den „besonderen sozialen Belastungen“ liegen. Dadurch kann bei einer bestehenden oder drohenden Armut frühzeitig auf ein Netzwerk an frühen Hilfen zurückgegriffen werden. Dies kann eine mangelnde Vorsorge in Risikogruppen und deren mögliche weitreichende Folgen verhindern. Der Zugang zur Schwangerenvorsorge und zu schwangerschaftsbegleitenden Angeboten sowie deren Inhalt sollte den Bedürfnissen der Schwangeren angepasst sein.