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Erfahrungen einer Hebamme in der Coronakrise

05.2020
Autorin Frau Lara Mönter, Hebamme aus Frechen

Die Folgen der Coronapandemie wirken sich auf unser aller Alltag und Berufsleben aus. Hier berichtet die freiberufliche Hebamme Lara Mönter wie sich die Arbeit mit Schwangeren und Wöchnerinnen in dieser besonderen Situation verändert hat.

Ich bin Hebamme und arbeite seit 2017 freiberuflich. In meiner Selbstständigkeit betreue ich Frauen vor und nach der Geburt. Die Coronapandemie hat für fast jede Berufsgruppe Veränderungen mit sich gebracht und wirkt sich auch auf meine Arbeit aus. Zu Beginn der Pandemie stand Verwirrung. Da niemand abschätzen konnte, wie sich die Situation entwickeln würde, gab es auch keine verlässlichen Vorgaben für Hebammen.

Nun, im Mai 2020, hat man sich schon fast an die Schutzmaßnahmen, wie das Tragen eines Mundschutzes und die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes, gewöhnt. Um eine Ausbreitung des SARS-CoV-2 zu verhindern, kam für mich in meiner Arbeit sehr früh die Frage auf, welche Termine mit Schwangeren und Wöchnerinnen wirklich zwingend notwendig sind. Da Hebammen aber zu großen Teilen präventiv arbeiten, ist diese Frage kaum eindeutig zu beantworten. Hebammen arbeiten durch „sprechende Medizin“, dies bedeutet, dass Kommunikation ein großer Wirkfaktor in der Arbeit mit den Eltern ist. Ein wichtiger Teil der Arbeit ist es, Eltern Fragen zu beantworten und ihnen mit Ruhe und Einfühlungsvermögen Unsicherheiten und Ängste zu nehmen. In meiner Arbeit habe ich beobachtet, dass Schwangere und junge Eltern gerade von der Kombination aus körperlicher Untersuchung, dem Vorführen von Fähigkeiten (z. B. die Bewegung unter Geburt oder das Handling des Kindes) und intensiven Gesprächen profitieren.

Die Berufsverbände für Hebammen und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen haben zügig auf die veränderten Ansprüche in der Coronapandemie reagiert und eine Vereinbarung getroffen, die es ermöglicht, dass Gesprächstermine und Kurse online stattfinden können und die Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen getragen werden. Dadurch können sowohl Kurse als auch Einzeltermine per Videotelefonie angeboten werden. Damit wurde eine sichere und zeitgemäße Alternative geschaffen. Die von mir betreuten Frauen haben dieses Angebot dankend angenommen. Gerade Frauen, die an einem Online-Geburtsvorbereitungskurs teilnehmen, scheinen erleichtert, dass ihnen überhaupt eine Möglichkeit geboten wird, sich auf die Geburt vorzubereiten. Dennoch birgt diese Alternative natürlich gewisse Gefahren. Gerade bei Wochenbettbesuchen reicht häufig ein Videotelefonat nicht aus. Körperliche Untersuchungen wie das Abtasten der Gebärmutter und der Brüste oder die Beurteilung der Hautfarbe des Säuglings sind per Kamera schlicht unmöglich. Daher kann ein Wochenbettbesuch per Videotelefonie den herkömmlichen Wochenbettbesuch niemals ersetzen, bietet aber eine sinnvolle Ergänzung, besonders für an Covid-19 erkrankte Frauen.

Da Präsenztermine nicht vollständig eingestellt werden können, müssen auch Hebammen sich mit der notwendigen Schutzkleidung ausrüsten. Dies bedeutet für die Betreuung von Frauen ohne Verdacht auf eine Infektion mindestens den Gebrauch eines Mundschutzes und die Einhaltung des Sicherheitsabstandes, solange dies möglich ist. 
Auch die Einbindung des Partners der Frau wird diskutiert. Sollten der Mann und ggf. Geschwisterkinder den Raum für den Wochenbettbesuch verlassen? Empfehlungen aus dem Qualitätsmanagement beantworten diese Frage mit „Ja“. Andererseits ist der Partner ein wichtiger Teil des Familiengefüges, der auch den Umgang mit dem Säugling erlernt und Fragen hat. Bei der Einbindung des Partners in die Wochenbettbesuche, muss natürlich auf die Einhaltung des empfohlenen Abstandes geachtet werden.

Das Thema Corona hat auch in den Gesprächen mit werdenden Eltern eine wichtige Rolle eingenommen. Eltern haben Sorge, dass der Vater bei der Geburt des Kindes nicht anwesend sein darf. Viele Frauen äußern, dass dies für sie eine sehr beängstigende Situation ist. Häufig wissen die Frauen erst beim Eintreffen in den Kreißsaal, wie der Ablauf gerade gehandhabt wird. Auch im Wochenbett sind die jungen Familien belastet, da sie den Kontakt mit den Großeltern des Neugeborenen vermissen. Da die Großeltern häufig zur Risikogruppe gehören, fehlt den jungen Eltern die Unterstützung und die Bestärkung, die deren Besuche mit sich bringen. Diese Mehrbelastung kann nur durch das Vermitteln von Tipps und Tricks zur Bewältigung des Alltags mit einem Neugeborenen und ausgiebigen Gesprächen mit den Eltern gelindert werden. Meiner Erfahrung nach haben viele Eltern bereits akzeptiert, dass die Ansprüche zurzeit etwas herabgesetzt werden müssen und dass die Vorstellungen, die sie vorab an die Zeit nach der Geburt hatten, ggf. gerade nicht erfüllt werden können.

Der fachliche Austausch unter Kolleginnen wird ebenfalls durch die Situation beeinflusst. So wurde beispielsweise der internationale Hebammenkongress, der dieses Jahr auf Bali stattfinden sollte, um ein Jahr verschoben. Es bleibt zu hoffen, dass dieser nächstes Jahr nachgeholt werden kann. Der Austausch im Team findet nun auch per Videotelefonie statt. Dies ist für mich und viele andere Hebammen eine ganz neue Erfahrung. Es zeigt sich aber, dass dies durchaus effektiv und sinnvoll sein kann. Fahrtwege werden gespart und der Austausch findet ganz bequem aus den eigenen vier Wänden heraus statt. Die Terminfindung für ein digitales Treffen fällt etwas leichter und man kann dennoch von den Erfahrungen und Meinungen der Kolleginnen profitieren.

Fazit: Die letzten Wochen haben viele Veränderungen in unser aller Leben gebracht, sowohl privat als auch beruflich. Die Belastungen für die Eltern sind groß und auch die Hebammen stehen, wie so viele andere Berufsgruppen, vor Herausforderungen. Dennoch wird deutlich, dass alle zügig lernen, sich mit den Umständen zu arrangieren und das Beste aus der Situation zu machen. Wir bleiben hoffnungsvoll und warten auf die Rückkehr in die Normalität. Bleibt gesund!

Kommentar: In der Arbeit mit Schwangeren stellt man häufig fest, dass Ängste vor der Geburt und dem Leben mit Kind ein wichtiges Thema sind und dass zu viele Entscheidungen aus Angst gefällt werden. Die Praxis zeigt, dass die Thematik unterschätzt wird und viele Frauen mit ihrer Angst alleingelassen werden. Schon Gespräche und Aufklärung können Frauen viele Ängste nehmen. Reicht dies nicht aus, ist es essenziell, die Frauen an Fachpersonen zu vermitteln.

Quellen:
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Streffing, J. (2015): Eine Fragebogenstudie zur Angst junger Erwachsener vor Schwangerschaft und Geburt. Unveröffentlichte Masterarbeit im Studiengang Hebammenwissenschaft, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover: 2015
Stoll, K., Hall, W. (2013): Attitudes and Preferences of Young Women With Low and High Fear of Childbirth. In: Qualitative Health Research, 23(11), S. 1495–1505
Pflanz, M. (2014): Warum Babys im Mutterleib nicht ertrinken können: Evaluation des Modellprojektes „Hebammen in der Schule“. Diskussionspapiere aus dem Fachbereich Pflege und Gesundheit der Hochschule Fulda
Otley, H. (2011): Fear of childbirth: Understanding the causes, impact and treatment. In: British Journal of Midwifery, 19(4), S. 215–220
Wijma, K., Wijma, B., Zar, M. (1998): Psychometric aspects of the W-DEQ; a new questionnaire for the measurement of fear of childbirth. In: Journal of Psychosomatic Obstetrics & Gynecology, 19(2), S. 84–97
Friedli, M. (2014): Die Geburt – ein Albtraum. Welche effektiven Therapien bei Tokophobie werden in der evidenzbasierten Literatur beschrieben und welcher Handlungsspielraum kann für die Hebamme diesbezüglich definiert werden? Bachelorarbeit Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Zürich: 2014