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Apfelessig zur Blutzucker- und Gewichtsregulation in der Schwangerschaft?

05.2024
Autorin Alexandra Lesmann, Hebamme und Ökotrophologin

Eine libanesische Studie aus dem Jahr 2024 untersuchte die Wirksamkeit von Apfelessig (ACV) in Bezug auf Gewichtsverlust, Blutzuckersenkung und die Reduktion von Blutfettwerten. Die Ergebnisse zeigten bemerkenswerte Auswirkungen, insbesondere auf den BMI und den Nüchternblutzucker der Probanden. Inwieweit der zurzeit weit verbreitete und populäre Verzehr von Apfelessig für Schwangere empfehlenswert ist, blieb jedoch ungeklärt. Hierzu bestehen einige Bedenken.

Studiendesign

Die Autoren untersuchten im Rahmen ihrer randomisierten und doppelblinden Studie insgesamt 120 Probanden (46 männlich, 74 weiblich) im Alter zwischen 12 und 25 Jahren mit einem BMI zwischen 27 und 34. Die übergewichtigen und adipösen Teilnehmer wurden in eine Placebo-Kontrollgruppe und drei weitere Gruppen aufgeteilt. Über 12 Wochen hinweg tranken die Probanden täglich in gleichbleibenden Dosen, die sich lediglich nach der Gruppenzugehörigkeit unterschieden, mit Wasser verdünnten Apfelessig (5 ml, 10 ml, 15 ml, jeweils mit 250 ml Wasser) bzw. ein nach Aussehen und Geschmack sehr ähnliches Placebo-Getränk mit Milchsäure, und zwar morgens auf leeren Magen.

Ergebnisse

Im Durchschnitt sank der BMI im Studienverlauf bei allen ACV-Probanden um 2,7 bis 3 Punkte (6 bis 8 kg), abhängig von der ACV-Menge. Die Gruppe mit dem höchsten Anteil an Apfelessig erlebte den größten Rückgang des BMI. Auch die regelmäßig geprüften Biomarker (Triglyceride und Cholesterin), der Nüchternblutzucker sowie Bauch- und Hüftumfang verbesserten sich deutlich. Die Vergleichsgruppen mit geringerer ACV-Dosis verzeichneten kleinere Verbesserungen. Die anthropometrischen Maße und biochemischen Parameter der Placebo-Gruppe blieben nahezu unverändert.

Fazit

Auf den ersten Blick wirft die Studie mit ihren Ergebnissen ein verheißungsvolles Licht auf die Wirksamkeit von ACV, insbesondere in Bezug auf die Gewichtsabnahme. Vorangegangene Studien legten bereits einen positiven Einfluss von ACV auf die Entwicklung des Blutzuckerspiegels nahe. Trotz mutmaßlich unveränderter Lebens- und Ernährungsweise konnten die Probanden erstaunlich positive Veränderungen erzielen. Allerdings weist die Studie diverse inhaltliche und wissenschaftliche Schwachstellen auf, die das Ergebnis lediglich als ein positives Indiz dastehen lassen.

Zum einen waren die Probanden übergewichtig bis adipös, sodass nicht erkennbar ist, wie sich Apfelessig auf den Stoffwechsel von Normal- oder leicht Übergewichtigen auswirkt. Auch das junge Alter der Probanden von 12 bis 25 Jahren wirft Fragen zur Übertragbarkeit auf. Hinzu kommt, dass nicht nachvollziehbar ist, ob das Placebo-Getränk tatsächlich nicht als solches zu erkennen war. Auch enthält die Studie weder detaillierte Informationen über körperliche Betätigungen oder das Essverhalten noch konkrete Hinweise auf mögliche Lebensstil- und Ernährungsumstellungen der Probanden.

Anzumerken ist zudem, dass die Studienteilnehmer das Essiggetränk morgens auf leeren Magen zu sich nahmen, um mögliche Einflüsse bestimmter Lebensmittel auszuschließen. Die aktuell populäre, wissenschaftlich noch nicht ausreichend fundierte Ansicht unter Wellness- und Gesundheitsinteressierten, ACV könne den Blutzuckeranstieg nach dem Essen verringern, geht von einer optimalen Einnahme in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Mahlzeit aus.

Vorerst keine Empfehlung für Schwangere

Darüber hinaus blieb die Frage der Übertragbarkeit auf Schwangere völlig unbeantwortet, sodass für diese Zurückhaltung beim regelmäßigen Verzehr von Apfelessig angeraten sein sollte. Insbesondere das erhöhte Kariesrisiko durch eine veränderte Mundflora in der Schwangerschaft sollte unbedingt beachtet werden (siehe hierzu den HiPP Fachkreise-Artikel: Gesunde Zähne von Anfang an) Der Verzehr von Essiggetränken erhöht das Risiko für Schädigungen des ohnehin anfälligeren Zahnschmelzes deutlich. Hinzu kommt das häufige Problem von Sodbrennen, das insbesondere in den späten Schwangerschaftswochen vermehrt auftreten kann. Von einer Gewichtsabnahme während der Schwangerschaft ist abzuraten; diese sollte erst nach der Schwangerschaft erfolgen, um eine unerwünschte Freisetzung von eingelagerten Giftstoffen im viszeralen Fettgewebe zu verhindern.

Der verbleibende positive Einfluss von ACV auf die Entwicklung des Blutzuckerspiegels ist noch nicht ausreichend erforscht. Insbesondere für Schwangere kann daher noch keine Empfehlung für den regelmäßigen Verzehr von Apfelessig ausgesprochen werden. Gleichwohl verspricht Apfelessig im Hinblick auf Gestationsdiabetes gesundheitliche Vorteile, die weiterer Forschung bedürfen. Es lohnt sich, die Forschung in diesem Bereich im Blick zu behalten.

Literatur:
Abou-Khalil R, Andary J, El-Hayek E. Apple cider vinegar for weight management in Lebanese adolescents and young adults with overweight and obesity: a randomised, double-blind, placebo-controlled study. BMJ Nutr Prev Health. 2024 Mar 12;7(1):61-67. doi: 10.1136/bmjnph-2023-000823. PMID: 38966098; PMCID: PMC11221284.
Hadi A, Pourmasoumi M, Najafgholizadeh A, Clark CCT, Esmaillzadeh A. The effect of apple cider vinegar on lipid profiles and glycemic parameters: a systematic review and meta-analysis of randomized clinical trials. BMC Complement Med Ther. 2021 Jun 29;21(1):179. doi: 10.1186/s12906-021-03351-w. PMID: 34187442; PMCID: PMC8243436.
Sugiyama S, Fushimi T, Kishi M, Irie S, Tsuji S, Hosokawa N, Kaga T. Bioavailability of acetate from two vinegar supplements: capsule and drink. J Nutr Sci Vitaminol (Tokyo). 2010;56(4):266-9. doi: 10.3177/jnsv.56.266. PMID: 20924150.
Lim JS, Son HK, Park SK, Jacobs DR Jr, Lee DH. Inverse associations between long-term weight change and serum concentrations of persistent organic pollutants. Int J Obes (Lond). 2011 May;35(5):744-7. doi: 10.1038/ijo.2010.188. Epub 2010 Sep 7. PMID: 20820170.