07.2017
Autor Dr. J. Hower, Pädiater
Funktionen und Vorkommen von Vitamin K
Schwere Blutungen durch Vitamin-K-Prophylaxe vermeiden
Späte Form der Vitamin-K-Mangelblutung
Protrahierte Vitamin-K-Prophylaxe
Fazit
Funktion
Vitamin K gehört wie Vitamin D, A und E zu den fettlöslichen Vitaminen und wird in Phyllochinon als Vitamin K1 und in Menachinon als Vitamin K2 eingeteilt.
Im menschlichen Organismus gibt es eine Vielzahl an Funktionen, die zur Aktivierung Vitamin K benötigen. Dabei steht seine Bedeutung als Gerinnungsfaktor für Neugeborene im Vordergrund:
Vorkommen
Vitamin K1 kommt im Blattgrün vor, Vitamin K2 entsteht als bakterielles Produkt bei der Fermentierung von Nahrungsmitteln (Sauerkraut, Käse).
In Deutschland werden bei 700.000 bis 800.000 Geburten pro Jahr trotz der postpartalen Vitamin-K-Prophylaxe immer noch zwischen 4 und 10 Vitamin-K-Mangelblutungen pro Jahr gemeldet, obwohl der aktuelle Bedarf an Vitamin K für die Gerinnung gering ist.
Vitamin-K-Mangel kann bei gesunden Neugeborenen durch fehlende Aktivierung der Gerinnungsproteine bereits in der ersten Lebenswoche zu schweren Blutungen, insbesondere Gehirnblutungen führen (klassische hämorrhagische Erkrankung). Dieses katastrophale Ereignis wird bei reifen, gesunden Neugeborenen in Deutschland durch folgende leitlinienbasierte Empfehlungen der oralen Gabe von 3 x 2 mg Vitamin K vermieden:
1. U 1 am ersten Lebenstag: 3-malige Vitamin K-Gabe (insgesamt 2 mg)
2. U 2 zwischen dem 4. und 6. Lebenstag
3. U 3 in der 4. bis 6. Lebenswoche
Hinweis: Auch das heute überwiegend verwendete, die Resorption fördernde Gallensäuren-Lecithin-Mischmizellen-Präparates (KonakionTM MM) wird bei Säuglingen mit einer konjugierten Hyperbilirubinämie und Cholestase unzuverlässig resorbiert, wie klinische Studien gezeigt haben.
Diese oben beschriebene Prophylaxe kann nicht alle Fälle der späten Form der Vitamin-K-Mangelblutung verhindern. Sie betrifft hauptsächlich gestillte Säuglinge im Alter zwischen 2 und 12 Wochen, aber auch noch bis zu 6 Monaten. Die betroffenen Säuglinge leiden meist unter unerkannten Lebererkrankungen (z.B. Gallengangsatresie, viralen oder bakteriellen Lebererkrankungen) oder Resorptionsstörungen anderer Ursache (z.B. Mucoviscidose, angeborene Gerinnungsstörungen) und haben eine orale Vitamin-K-Prophylaxe erhalten.
Im Gegensatz zu gestillten Kindern erkranken Flaschenkinder nur in Ausnahmefällen an einer späten Vitamin-K-Mangelblutung. Industriell hergestellte Flaschenmilchen müssen entsprechend der europäischen Richtlinie A für Säuglingsanfangsnahrungen auf einen Vitamin-K-Mindestgehalt von 4 µg/100 kcal angereichert werden.
Die tägliche Vitamin-K-Gabe über die angereicherte Flaschenmilch kann als Experiment und Antwort auf die Frage verstanden werden, wie sich die späte Vitamin-K-Mangelblutung bei Stillkindern und regelmäßiger oraler Gabe von Vitamin K reduzieren lässt.
Eine protrahierte (über eine längere Zeit hinweg) tägliche Gabe von kleineren Vitamin-K-Dosen führt zu einer gleichmäßigeren und wahrscheinlich über die Zeit zuverlässigeren Resorption des notwendigen Vitamin-K-Bedarfs. Dies zeigen auch holländische Erfahrungen mit täglich 25 µg Vitamin K nach einer einmaligen oralen postpartalen Gabe von 1 mg Vitamin K. Aber auch hierbei können Vitamin-K-Mangel-Blutungen nicht sicher ausgeschlossen werden.
Die Vitamin-K-Prophylaxe mit täglich 25 µg Vitamin K wird nach eigenen Erfahrungen an Geburtskliniken den Müttern oft von Hebammen empfohlen. Dem sollte als Ergänzung zur offiziellen Empfehlung auch nicht widersprochen werden.
Dringend abzuraten ist, die zweite Prophylaxe mit der oralen Gabe von 2 mg Vitamin K (Vorsorgeuntersuchung U2) wegzulassen und stattdessen zu diesem Zeitpunkt mit der protrahierten Prophylaxe zu beginnen! Diese Empfehlung würde für manche Kinder ein unnötig erhöhtes Blutungsrisiko bedeuten (Hintergrund ist, dass der postpartal eingeschränkte Gallefluss bei manchen Neugeborenen keine ausreichende Resorption zulässt). Wir haben mehrfach Kinder erlebt, bei denen in der Folge Blutungen mit Hämatinerbrechen aufgetreten sind. Nach erfolgter Vitamin-K-Prophylaxe sistierte die Blutung und es kam zu keinen weiteren Schäden.
Immer mehr Mütter entscheiden sich heute für das volle Stillen in den ersten sechs Lebensmonaten. Da Vitamin K in der Muttermilch kaum vorkommt, verdient die Empfehlung der Hebammen zur protrahierten Vitamin-K-Prophylaxe mit der täglichen Gabe von 25 µg Vitamin K Unterstützung. Sie dient der Prävention einer späten Vitamin-K-Mangelblutung und kann nach der U 3 begonnen werden. Nach unseren Erfahrungen scheint es aber nicht klug und mit unnötigen Risiken verbunden zu sein, wenn von der empfohlenen Vitamin-K-Prophylaxe abgewichen wird, indem den Eltern von der zweiten und dritten oralen Gabe von 2 mg Vitamin K abgeraten wird.
Lesen Sie hierzu auch das Konsensuspapier der DGKJ