08.2022
Autor Professor E. Harms, Universitäts-Kinderklinik Münster
Hypoglykämien treten bei Neugeborenen und Frühgeborenen häufig auf. Richtlinien zu ihrer Diagnose nennen nicht nur Risikofaktoren für Hypoglykämien, sondern auch eine Reihe von vegetativen und neurologischen Symptomen (u. a. Blässe, Zittern, Veränderung des Muskeltonus, Krampfanfall), an denen man das Vorliegen einer Hypoglykämie erkennen soll. Sind solche Beobachtungen zuverlässig?
Zur Beantwortung dieser Frage wurde eine Studie in Düsseldorf durchgeführt [1]. Kurze Videos von 145 reifen Neugeborenen mit und ohne Risikofaktoren wurden vor einer Bestimmung der Blutglukose erstellt und später von zehn im Bereich Neonatologie tätigen Untersuchern ohne Kenntnis des Blutglukosespiegels auf klinische Zeichen einer Hypoglykämie geprüft. Die Autoren werteten die Ergebnisse der Beobachtungen in 4 Blutglukose- Bereichen aus. Kritisch niedrig davon sind nur die
Bereiche 30–45 mg/dl und < 30 mg/dl. Für den Bereich 30–45 wurde eine weit gestreute Interobserver-Variabilität der Sensitivität zwischen 5 % und 62 % berechnet. Von den drei kritisch kranken Neugeborenen mit Blutglukose < 30 mg/dl hat nur ein Untersucher alle drei, vier Untersucher nur zwei und fünf Untersucher nur eines an klinischen Symptomen erkannt. Das bedeutet, dass auch neonatologisch erfahrenes Personal nur etwa die Hälfte von kritischen Hypoglykämien < 30 mg/dl an klinischen Symptomen erkennt. Bemerkenswert ist auch, dass kritische Blutglukosewerte (30–45 mg/dl) und Hypoglykämien (< 30 mg/dl) genauso häufig bei Kindern mit und ohne Risiken gefunden wurden, d. h. die Einteilung als „ohne Risiko“ selbst ein Risiko ist.