05.2016
Autor Dr. J. Hower, Pädiater
Weltweits sind fast 180 Millionen Kinder infolge einer Mangelernährung in ihrer kognitiven und körperlichen Entwicklung beeinträchtigt. Sie leiden unter Wachstumsverzögerungen und unter Infektionen. Erste Hinweise lassen vermuten, dass die durch eine Mangelernährung hervorgerufene Entwicklungsstörung wesentlich durch das veränderte kindliche intestinale Mikrobiom mitbeeinflusst wird. Ein gestörtes Mikrobiom mag auch die frustrierenden Beobachtungen erklären, dass die therapeutische Gabe von hochwertigen Nahrungssupplementen bisher nicht zu dem erwarteten schnellen Erfolg geführt hat.
Methode: In Bangladesch haben amerikanische und einheimische Wissenschaftler monatlich Stuhlproben von gesunden und mangelernährten Kindern unter 2 Jahren gesammelt und ihr Mikrobiom untersucht (1).
Ergebnisse: Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass mangelernährte und wachstums-gestörte Kinder kein altersgerechtes, sondern ein jüngeren Kindern entsprechendes, entwicklungsverzögertes Mikrobiom aufweisen.
Weitere Erkenntnisse aus Tierexperimenten
Ein vergleichbares intestinales mikrobielles Muster konnte bei Untersuchungen an mangelernährten und wachstumsgestörten Kindern aus Malawi nachgewiesen werden (2). Bei Versuchen mit Mäusen, die eine für Kinder aus Malawi typische Nahrung erhielten, konnten die Autoren Folgendes zeigen: Keimfreie Mäuse erhielten das Mikrobiom mangelernährter Kinder und gediehen schlechter als Mäuse mit einem normalen Mikrobiom. Die Supplementierung von Milch-Oligosacchariden (Präbiotika) führte zu einer Normalisierung des Wachstums und des Stoffwechsels.
Diese Ergebnisse werden von einer weiteren Studie bestätigt (3): Keimfreie Mäuse setzten nicht so viel Muskulatur und Knochenmasse an wie Mäuse mit einem normalen Mikrobiom, selbst wenn sie die gleiche Nahrung bekommen. Die Ursachenforschung ergab, dass das Mikrobiom der gesunden Maus das Wachstumshormon und den Insulin-like growth factor 1 (IGF-1) beeinflusst. Keimfrei aufgezogene Mäuse besitzen zwar insgesamt die gleiche Menge an Wachstumshormonen, aber ihre IGF-1-Aktivität im Blut, in der Leber und in der Muskulatur ist niedriger als bei Mäusen mit einem normalen Mikrobiom. Der Ausgleich dieses Mangels durch injiziertes IGF-1 führte zum gleichen Wachstum wie bei normalen Mäusen. Gleiches konnte auch durch die Zugabe von Lactobacillen (Lactobacillus plantarum) erreicht werden.
Fazit:
- Der Zusammenbruch in der Mikrobiom-Hormon-Verbindung scheint bei unterernährten Kindern zum Wachstumsstillstand zu führen.
- Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Manipulation des Stoffwechsels mangelernährter Kinder über das Mikrobiom möglich sein könnte.
Referenzen:
(1) Subramanian, S et al. Persistent gut microbiota immaturity in malnourished Bangladeshi children. Nature 2014 Jun 19; 510 (7505): 417-21
(2) Blanton, LV et al. Gut bacteria that prevent growth impairments transmitted by microbiota from malnourished children. Science 2016 Feb 19; 351(6275): 830-37
(3) Schwarzer, M et al. Lactobacillus plantarum strain mantains growth of infant mice during chronic undernutrition. Science 2016 Feb 19; 351(6275): 854-57
Kommentar: Das Verständnis des nutritiven Wertes unserer Nahrung ist bei einer zunehmenden globalen Bevölkerung noch nie wichtiger gewesen als heute. Das Mikrobiom spielt nicht nur bei Infektionserkrankungen, psychiatrischen Erkrankungen und der Adipositas, sondern auch bei der kindlichen Mangelernährung eine wichtige Rolle spielt.Es kann uns dick und schlank, krank und gesund machen. Wir benötigen genauere Kenntnisse über das, was wir zu uns nehmen und welchen Einfluss die zugeführte Nahrung auf unser intestinales Mikrobiom und damit auf unsere langfristige Gesundheit besitzt.
In keinem Lebensalter ist diese Information wichtiger als im Kindesalter, in dem die Grundlagen für die spätere Gesundheit gelegt werden. Millionen Kinder haben weltweit keinen Zugang zu einer ausreichenden Nahrungsmittelversorgung und sind untergewichtig. Das intestinale Mikrobiom ist mit seinen Milliarden an Bakterien ein hochsensibles, sich an den menschlichen Genotypus und die Nahrung anpassendes „Organ“. Es ist an der Biotransformation von besonders unverdaulichen und damit für die menschliche Verdauung nicht verwertbaren Nahrungsprodukten beteiligt. Mit seinen Spaltprodukten greift das Mikrobiom in die biologischen Abläufe des menschlichen Organismus ein.
Mangelzustände üben einen kumulativen Einfluss auf das Mikrobiom, die Darmfunktionen, den Stoffwechsel und das Wachstum aus. Eine zunehmende Evidenz spricht für einen kausalen Zusammenhang zwischen Mangelernährung und kindlichem Mikrobiom, den die Autoren überzeugend darlegen. Die alleinige Gabe von hochwertiger Nahrung ohne Berücksichtigung der mikrobiellen intestinalen Störung hat wahrscheinlich deshalb zu den enttäuschenden Ergebnissen bei der Behandlung mangelernährter Kinder geführt. Bei dem sich abzeichnendem Nutzen dieser Erkenntnisse für die klinische Praxis gibt es aber derzeit immer noch mehr Fragen als Antworten.
Referenzen:
Subramanian, S et al. Persistent gut microbiota immaturity in malnourished Bangladeshi children. Nature 2014 Jun 19; 510(7505): 417-21
Blanton, LV et al. Gut bacteria that prevent growth impairments transmitted by microbiota from malnourished children. Science 2016 Feb 19; 351(6275): 830-37
Schwarzer, M et al. Lactobacillus plantarum strain mantains growth of infant mice during chronic undernutrition. Science 2016 Feb 19; 351(6275): 854-57
Gordon, J et al. The Human Gut Microbiota and Undernutrition. Sci Transl Med 2012 Jun 6; 4(137), 137 ps 12-12