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Kann die chronische Obstipation bei Kindern auch ursächlich behandelt werden?

09.2024
Autor Dr. Martin Claßen, Bremen

Die chronische funktionelle Obstipation gehört bei Kindern zu den besonders häufigen und oft hartnäckigen Problemen. Die leitliniengerechte Therapie besteht in kognitiv-verhaltenstherapeutischen Maßnahmen zusammen mit einer langfristigen Therapie mit Stuhlweichmachern.
Einen völlig neuen Ansatz haben nun chinesische Forscher gewählt: Eine Gruppe von 110 Kindern zwischen 4 und 14 Jahren mit Therapieresistenz gegenüber Macrogol wurde randomisiert; alle erhielten zunächst tägliche Einläufe zur Desimpaktion, dann über 4 Wochen 2 Einläufe pro Woche, in denen verblindet entweder ein fäkaler Mikrobiomtransfer (FMT) mit 30 ml Spenderstuhlsuspension erfolgte oder eigener Stuhl rektal appliziert wurde. In den 12 Wochen Nachuntersuchung wurde eine spontane Stuhlentleerung von mehr als 3-mal pro Woche als Erfolgskriterium angesehen. Dies wurde bei 22 Patienten in der FMT-Gruppe (40,0 %) und 10 Patienten der Placebogruppe (19,2 %) erreicht. Die bakterielle Diversität steigerte sich in beiden Gruppen. Bis auf leichte abdominelle Symptome wurden keine adversen Ereignisse registriert.

Kommentar: Die Bedeutung des Darmmikrobioms für die Entstehung einer Obstipation bei Kindern und Jugendlichen ist bisher unzureichend wissenschaftlich belegt – aktuell gehen wir eher von einer unzureichenden Beckenbodenentspannung bei der Defäkation als Hauptproblem bei der funktionellen Obstipation aus. Die Daten aus China sind ein Argument dafür, das Mikrobiom weiter zu berücksichtigen und daraus auch Therapieoptionen zu entwickeln (Probiotika?). Leider gibt es aktuell keine allgemein verfügbare Untersuchungsmethode, um Auffälligkeiten in der Zusammensetzung des Mikrobioms im klinischen Alltag zu finden.
Mit dem zunehmenden Wissen um die Bedeutung des Mikrobioms für Darmerkrankungen, metabolische Störungen und psychische Erkrankungen werden immer mehr Studien mit fäkalem Mikrobiom-Transfer (FMT) durchgeführt. Leider sind zu dieser Methode aber viele Fragen offen, zum Beispiel wer der ideale Spender sein könnte und wie man den Transfer appliziert (oral, rektal, endoskopisch?). Es besteht zudem immer noch ein Restrisiko einer Übertragung von Infektionen. Darüber hinaus könnte man ungünstige Eigenschaften des Spendermikrobioms (z. B. Risikoerhöhung für Adipositas) dauerhaft beim Empfänger „einpflanzen“. Aus diesem Grunde sollte man bei einer eigentlich gut behandelbaren Störung wie der funktionellen Obstipation aktuell eine so tiefgreifende Intervention aus Sicherheitsgründen nicht durchführen. Auch sei darauf hingewiesen, dass regelmäßige Einläufe bei obstipierten Kindern die Ängste vor der Darmentleerung noch steigern.

Referenzen:
Gu X, Yang Z, Kou Y, Yang F, Wang Y, Chen Y, Wang E, Jiang X, Bai Y, Zhang Z, Zhang S. Effects of Retrograde Colonic Enema Based Fecal Microbiota Transplantation in the Treatment of Childhood Constipation: A Randomized, Double-blind Controlled Trial. Am J Gastroenterol. 2024 Jul 11. doi: 10.14309/ajg.0000000000002958. Epub ahead of print. PMID: 38989869