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Frühe psychosoziale Intervention verhindert Entwicklung autistischer Störungen

01.2022
Autor Professor J. Spranger, Universitäts-Kinderklinik Mainz

Normalerweise sucht ein etwa 1 Jahre altes Kind

  • spontanen Augenkontakt,
  • zeigt spontan mit dem Finger,
  • äußert sich mit Gesten,
  • ahmt nach,
  • reagiert auf seinen Namen.

Fehlen drei dieser fünf nonverbalen Interaktionen, besteht Anfangsverdacht auf die Entwicklung einer autistischen Störung [1].
In zwei australischen kinderpsychiatrischen Einrichtungen wurden 104 Kinder mit einem solchen Verdacht im Alter zwischen 9 und 15 Monaten vorgestellt. Sie wurden in zwei Gruppen randomisiert.
Gruppe 1, Präventivgruppe: Innerhalb von 5 Monaten wurde in 10 Sitzungen der häusliche Umgang von Eltern und Kindern, besonders ihre sozialen Interaktionen, gefilmt, analysiert und besprochen. Die Eltern wurden über Sinn, Notwendigkeit und Effekt gezielter Maßnahmen zur Förderung der Kommunikationsfähigkeit ihres Kindes informiert; entsprechende Übungen wurden den Eltern gezeigt und von diesen regelmäßig durchgeführt und protokolliert.
Gruppe 2, Kontrollgruppe: Die Familien hatten Zugang zu den üblichen ärztlich-psychologischen Institutionen.

Im Alter von 18 Monaten, 2 und 3 Jahren wurden die Kinder beider Gruppen mit standardisierten Methoden auf Vorhandensein und Ausprägung autistischer Züge untersucht. Die Untersucher wussten nicht, zu welcher Gruppe die Kinder gehörten. 
Im Ergebnis hatten Kinder der Präventivgruppe 1 bei allen Nachuntersuchungen signifikant weniger Merkmale aus dem Formenkreis des autistischen Spektrums. Unter Berücksichtigung von Störvarianten stellten überdies zwei studienunabhängige Kinderpsychiater/innen die Diagnose Autismus bei 9 Kindern in der Kontrollgruppe, jedoch nur bei 3 vorsorglich behandelten Kindern.

Kommentar: Am Beispiel des frühmanifesten Autismus bestätigt die Studie mit beträchtlichem Aufwand und wissenschaftlicher Präzision die triviale Aussage, dass sich Kinder umso besser entwickeln, je intensiver und liebevoller sie betreut werden. Zur Ursache autistischer Verhaltensstörungen weiß man heute, dass Frühgeborene vermehrt gefährdet sind. [2]. Dabei ist neonatale Unreife jedoch nur Teil eines multifaktoriellen Geschehens. Eine genetische Disposition wird diskutiert und molekularbiologisch untersucht [3]. Ob der Hinweis auf eine konstitutionelle Besonderheit den Eltern bei der Betreuung ihres Kindes hilft, sei dahingestellt. Oxytocin-Nasensprays tun es jedenfalls nicht [4].

Referenzen
[1] Whitehouse AJO, Varcin KJ, Pilar S, et al. Effect of preemptive intervention on development outcomes among infants showing early signs of autism. JAMA Pediat 2021 Sep 20: e213298. doi: 10.1001/jamapediatrics.2021.3298.
[2] Crump C, Sundquist J, Sundquist K, et al. Preterm or early term birth and risk of autism. Pediatrics 2021; 148(3)2020032300.
[3] Lucas HM, Lewis AM, Lupo PJ, Schaaf CP. Parental perceptions of genetic testing for children with autism spectrum disorders. Am J Med Genet Sept 2021 doi.org/10.1002/ajmg.a.62517.
[4] Sikich L, Kolevzon A, King BH. Intranasal Oxytocin in children and adolescents with autistic spectrum disorder. New Engl J Med 2021; 385; 1462–1473.